Kapitel 7: Geist Lenins, Geist Stalins...


Eva rannte ihr entgegen. "¡Hola, hermana Vanessa!", schrie sie.
"¡Estela, komm sofort her! Ich bin nämlich schon da, wie du siehst", rief die Frau, die Vanessa hieß und Christinas Tante war.
Estela (Stella) erhob sich und ging zu ihr. Dann sagte sie nicht sonderlich aufgeregt oder begeistert: "Hola, tía Vanessa."
"Du bist gewachsen, sobrina!", lobte Vanessa. Sie sah aus dem Fenster.
Draußen stand Zarah, die afrikanische Magd, wie versteinert auf der kleinen Mauer und starrte auf die Sonne. Sie murmelte: "Wie? Eine magische...? Eine magische was? Eine magische... Schatulle? Nein? Eine magische Schatztruhe? Immernoch nicht? Eine... Eine magische, leuchtende Schatztruhe? Ja? Oder... nein? Äh... Was noch? Eine Prinzessin? Nein? Ein Prinz? Wie? Ein Prinz aus einem fernen Land? Nein? Aus einem fernen Reich? Ein Prinz aus einem fernen Reich? Und... Und was? Er heißt...? Wie heißt er? Nándre? Nein? Nándry? Nándry... te?
  Nandryte? Ja? Er ist...? Er ist schön? Nein? Wunder... wunderschön? Er ist wunderschön? Und wie? Wie? In Gefahr? Was soll ich? Ihn ra...re...? Re...? Retten? Ich soll ihn retten? A-aber... aber... Wo ist er? In dem Wald? Gut." 

Gedankenverloren griff Zarah nach ihrem Korb und ging in den Wald. Ein goldenes Eichhörnchen zeigte ihr den Weg. Zarah war sich vollkommen sicher, dass es ihr den richtigen Weg zeigte und trällerte verträumt vor sich hin.
Doch plötzlich schrie jemand hinter ihr: "Zarah, komm schnell zurück! Der Wald brennt! Zarah! Zaraaaaaah! Beeil dich doch!" Es war ihre Schwester Jennifer.
Das Eichhörnchen flüchtete auf einen sehr, sehr hohen Baum.
Doch Zarah konnte nicht mehr zurück. Eine Gestalt mit roten, zerzausten Haaren, blasser Haut, blauen Augen (was an Kontaktlinsen lag), einem Schwarzen Sakko, roten Stiefeln und einem marineblauen langen Rock hielt sie fest.
"Du darfst nicht mehr zurück, du unwürdiges schlechtes schwaches Menschlein", sagte die Person, "du musst hier im brennenden Wald sterben. Ich merke nämlich, dass du etwas im Schilde führst. Ja, ja! Muahahahaha! Bald wird nicht nur der Wald in Flammen stehen, sondern auch das gesamte Reich! Ich will es so. Ich, Tatiana Anastasia Ekaterina Olga Natascha Ksenia Jelena Mascha Valeria Zibirskaja, habe das endscheidende Feuer entfacht. Und das ist nicht einzige Feuer, das ich entfache, denn ich werde die ganze Welt niederbrennen und die Erde wird ein karger, grauer Planet sein und es wird nie wieder Leben geben. Nie wieder! Ich freu mich schon drauf. Hahaha! Ja, nie wieder wird es im Universum Leben geben! Denn ich werde es vernichtet haben! Ich werde den ewigen Tod verursacht haben!"
"Lass mich los!", protestierte Zarah empört. "Ich muss einen Prinzen retten! Lass mich gefälligst los, Tatiana Anastasia Ekare... Ekate... "
Doch da nahm sie die böse Frau mit den vielen Namen in den Schwitzkasten und hielt ihr den Mund zu. So fiel es Zarah sehr schwer zu reden. "Einen Prinzen retten! Hm! Retten. Retten! Hm, hm, hm! Hm, hm, hm, hm, hm! Bei Trotzki! Das gibt eine Backpfeife!", murmelte Tatiana Anastasia Ekaterina Olga Natascha Ksenia Jelena Mascha Valeria Zibirskaja (Tanja Zibirskaja). Daraufhin ohrfeigte sie Zarah.
"Was tun sie da?!", schrie Jennyfer außer sich.
Tatiana lächelte kalt und ließ Zarah zu Boden taumeln. Dann hob sie plötzlich ihr Bein und trat Jennyfer. Diese stürzte und fiel in Ohnmacht.
Tatiana selbst jedoch lief mit einem höhnischen Lachen ins lodernde Feuer und rief: "Geist Lenins! Geist Stalins! Geister aller verstorbenen Führer unseres Volkes! Lasst all das brennende Leben erstarren, die Bäume, die Hasen, die Wildschweine, die Rehe, die Hirsche, das Moos! Bahnt mir den Weg, der zum Labyrinth führt! Macht mir alles so, dass es aussieht wie im tiefsten Sibirien! Die Bäume kahl, das Mondlicht fahl, die Tiger weiß, der Schnee kalt wie Eis!"

Dann fügte sie deutlich leiser und geheimnissvoller hinzu: "Macht mir alles so, wie in Sibirien. Ja, Sibirien. Sibirien." Sie seufzte. Nach einer Weile flüsterte sie: "Meiner Heimat."
Der Wald, durch den Tatiana stapfte, verwandelte sich in eine weiße Schneelandschaft. Zehn Meter hinter ihr loderte das Feuer und verbrannte das Reich.

Eva rastete aus. "Nonononono, das ist aber böse von Tatiana! Vanessa, hermana, schau dir das an!", schrie sie und fuchtelte wie wild mit den Armen. Das Feuer war über die Mauer geklettert und erreichte bald ihr Haus.
"Diós, hilf uns", murmelte Vanessa. Gleich darauf schrie sie: "Estela, Christina, kommt schnell! Gleich fängt unser Haus an zu brennen! Wir müssen flüchten!" Sie packte Eva und die beiden Kinder an den Armen und sprang mit ihnen aus dem Fenster.
Eva landete im stacheligen Gebüsch, wurde es aber schnell wieder los. Stella landete weich auf dem Boden.
"Gut, sobrina, geschickt!", lobte Vanessa. Hastig liefen sie weiter.
Plötzlich bemerkte Vanessa, dass Christina nicht dabei war.

Maria (Marlen) stellte ihren Korb ab und kniete sich zu Markus (Marie).
"Maria!", schrie Markus. "Spielen!"
"Puppen?", fragte Maria und deutete auf zwei königlich gekleidete Puppen. Sie holte einen Kamm und kämmte eine davon.
Markus riss ihr die Puppe aus der Hand und schleuderte sie auf den Boden. "Meine!", sagte er und verschränkte unzufrieden die Arme vor der Brust.
Maria hob die Puppe auf und hob mahnend den Zeigefinger. "Das ist eine Puppe, die darfst du nicht einfach so auf den Boden schleudern!", sagte sie streng. "Außerdem hast du mir wehgetan!"
Markus setzte eine unschuldige Miene auf. Dann winselte er: "Nicht mehr spielen! Kochen mit Stefania!" Er lief auf Stefania (Greta) zu und schnappte sich einen Kochtopf.

No, Christina", schimpfte Vanessa. "Im Notfall holt man seine Pflanze nicht noch. Es geht um das eigene Leben! Die anderen Sachen sind nicht so wichtig!¡Vamos!"
Estela sah sich ängstlich um.
"¡Hermana Christina!", rief sie.
Doch Christina kam nicht...

Als Vanessa, Eva und Estela aus dem Fenster gesprungen waren, hatte Vanessa Christina aus Versehen losgelassen und die Fensterbank hatte sie abgefedert.

Christina trug meistens ein kariertes Beret, welches sie sich immer schief aufsetzte, eine kaputte, schmutzige, alte Fellweste, einen langen, staubigen Rock mit Rüschen, ein T-Shirt aus gelbem, verblichenem Musselinstoff und abgewetzte, löchrige, weiße Sneaker. Sie war das einzige Mädchen in der ganzen Familie, dass solche Sachen trug.

"Vanessa, hermana, das ist ein ernster Fall. Vielleicht ist Christina gerade dabei zu verbrennen", sagte Eva. Diese Worte sprach sie nicht sonderlich besorgt aus.
"Oder sie hat einen anderen Weg genommen", sagte Vanessa. "Lasst uns die Leute, auf die wir treffen, fragen, ob sie Christina gesehen haben"
Estela nickte bedrückt.
Eva rief hingegen begeistert: 
"¡Si! Super Idee!"
Sie liefen immer weiter. In der Ferne sahen sie die Berge. Dort zog gerade Prinzessin Charlotte die zerbrechliche von Granfilien vorbei. Sie lag auf einem riesigen, prachtvollen Himmelbett mit Rädern, das von schwarzen und weißen Pferden gezogen wurde. Auf den vorderen beiden Pferden ritten Paul und Lisa und gaben
den Pferden die Peitsche. Neben dem Himmelbett ritten ebenfalls zwei Frauen. Und zwar Charlottes Dienerinnen Andrea Meloni und Carolina Bubujuju-Bujulu.
Andrea Meloni war in Wirklichkeit niemand anderes als Anne Winter und Carolina Bubujuju-Bujulu war in echt Carla Amadou.
Hinter dem Himmelbett befand sich viel Gefolge. Doch das Gefolge war gar kein Gefolge; das waren die Dorfesbewohner!

Als die Parade schon fast vorbeigezogen war, folgte ein zweites Himmelbett, auf dem sich Prinzessin Lia-Amalia die grazile von Gretenstein befand.
Neben ihr ritten ihre Zofen Maxima Gonzaléz Rodriguéz Peréz Perón (Evita King), Megawati Dewiwewi (Meti Dewi) und Madita Polsterfett (Judith Schulz).

"¡Princesa! Oder vielleicht reyna!", rief Eva. "Halten sie an! Es ist wichtig! Halten sie doch mal gefälligst an! Eine ganz dringende Sache ist es! Bitte!¡Por favooor! Haben sie Christina gesehen?! Neiin! Nicht weiterziehen! Diós, sie hören uns nicht."
"Keine Hoffnung mehr!", schluchzte Estela und warf sich zu Boden auf die Knie.
Plötzlich klappten Evas und Vanessas Unterkiefer nach unten. Erstaunt sahen sie zu, wie Estela betete.
"Gutes Kind, so ist's recht. Ja,wirklich, du hast mir versprochen, im Notfall zu beten. Braves Kind!", sagte Vanessa und streichte Estela ein wenig gerührt über den Kopf...

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