Kapitel 5: Gutes Essen, grimmiger Kellner
Die Feier ging bis tief in die Nacht hinein.
Zarah
und Nandre tanzten auf einer kleinen Bühne und mit der Zeit kamen ein
paar Gäste (unter anderem die Eltern des Hochzeitspaares) zu ihnen und tanzten auch. Zarah hatte sich für den Tanz selbstverständlich noch umständlich speziell umgezogen und neu geschminkt und frisiert. Nandre hatte auch die Schuhe gewechselt und spezielle Tanzschuhe aus Echsenleder angezogen, die eigentlich für keinen anderen Anlass gut waren.
Am Ende des Tanzes boten Zarah und Nandre
sogar Likör an. Nicht sehr viele nahmen an.
Zuerst kamen Nandres Eltern gemeinsam zum Hochzeitspaar und nahmen zwei kleine Gläschen an. Als sie sie ausgetrunken und zurückgestellt hatten, umarmten sie noch gerührt ihren Sohn und Zarah, welche sich das sehr gefallen ließen. Zusätzlich gratulierten die Eltern dem Brautpaar noch, ließen sich von den beiden ausführlich wiederholen, wie sie sich kennengelrnt haben, genossen es, die anderen warten zu lassen und ließen sich dann ordentlich Zeit, als sie gemächlich wieder zur Bühne schlenderten.
Als sie sich endlich entfernt hatten und die anderen nun völlig sicher sein konnten, dass sie nicht vorhatten, weiterhin bei Nandre und Zarah zu verweilen und mit ihnen zu reden, ging Lia zu Zarah und nahm ein kleines Schnapsglas entgegen. Dann ging sie schnell weg und gesellte sich zu Runa und Jenny.
Judith nahm höflich ein Glas von Nandre, der sie dabei unauffällig, aber sehr genau beobachtete, trank es aber heimlich nicht aus und gab es anscheinend unbemerkt schnell wieder zurück.
Charlotte
nahm ebenfalls eins, allerdings so wie Lia eins von Zarah. Sie trank
einen Schluck, da machte Anne ein besorgtes Gesicht und stammelte ängstlich:
"Aber, aber Charlotte! Dei-dein Ba-babybauch! U-und dazu der... der
Likö-kör? I-ich weiß echt nicht recht!"
Doch Charlotte schien sie nicht zu beachten und trank einfach noch einen Schluck, als hätte sie nichts gehört.
"Stimmt! Ja! Anne hat recht! Halt! Stopp! Nicht weitertrinken!", schrie Lina und schaute Charlotte sehr ernst und besorgt an.
"Oje, oje, oje", murmelte Julia verlegen.
Tanja
riss der sehr erschrockenen Charlotte energisch das Schnapsglas aus der
Hand. Als sie Isabellas fragenden Blick bemerkte, erklärte sie: "Gewalt
für Gesundheit." Isabella nickte bedächtig.
"So was ist gefährlich für den Säugling, weißt du, Charlotte?", fragte Marie. "Sehr gefährlich."
Charlotte klatschte sich mit der Hand gegen die Stirn und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Das Schnapsglas ließ sie einfach klirrend auf den Boden fallen. Es zersprang zu Scherben. Der empörte Nandre und die schockierte Zarah riefen lautstark die Kellner, welche sofort gehorsam mit dem Kehrblech die Scherben einsammelten.
"Das hast du ja mal wirklich prima gemacht", kommentierte Vera kritisch und schaute zu Charlotte. Sie meinte aber eher das Baby statt den Scherben.
Carla warf Charlotte einen enttäuschten Blick zu. "Also bitte, Charlotte...", begann sie, doch sie beendete ihren Satz nicht und verkrümelte sich in die Masse.
"Das hättest du besser machen können", sagte Eva, einfach, um etwas zu sagen, und seufzte.
"Na
ja, vielleicht hat sie das vergessen", argumentierte Maria. Sie
versuchte, mitfühlend zu klingen, doch das misslang ihr regelrecht, da
sie in Charlottes Anwesenheit über sie redete, was nicht sehr höflich war.
"Mir wäre so was nicht passiert", sagte Stella und stemmte die Arme in die Hüften.
"Mir auch nicht!", rief Franziska und Marie, die schon etwas gesagt hatte, legte einen Arm um ihre Schulter.
Schon bald hatte fast jeder irgendeinen negativen Kommentar abgegeben.
Doch
dann wurde es Charlotte zu viel. Sie stöhnte laut: "Aaah! Das musste ja kommen! Ich hab doch nur einen Schuck getrunken!", und sank nieder. Der Stuhl kippte um und sie schien zu Boden zu
taumeln. Dabei fiel sie nur langsam auf die Erde.
Anne und Carla trugen hastig sie auf ein Sofa mit vielen Kissen.
Als
Charlotte wieder zu sich kam, schrie sie schrill: "Helft mir doch!
Schne-hell! Helft mir doch mal! Diese Menschen halte ich nicht aus!
Aaah!" Dann zeigte sie anklagend mit dem Finger auf die WG-Bewohnerinnen und gab einen hohen Kreischton von sich, dem Nandre äußerst fasziniert zuhörte.
Carla und Anne stützten sie und halfen ihr bis zu ihrer WG. Dort durfte sie sich auf die Couch legen und sich ausruhen.
Judith
ging auf Zarah und Nandre zu und zeigte ernst auf Zarah.
"Eigtentlich ist das deine Schuld", sagte sie. "Du hast ihr den
Likör gegeben und nicht darauf geachtet, dass Charlotte schwanger ist!
Es hätte dir auffallen müssen! Das war dein Fehler, Zarah!"
Zarah schnappte empört nach Luft. "Was, ich bin Schuld?", schrie sie.
Judith sah sie vorwurfsvoll an. "Ja, du! Wer sonst? Schließlich hast du Charlotte den Likör gegeben, wie oft soll ich das jetzt noch wiederholen?!"
Zarah
fächerte sich hochnäsig mit ihrem Blumenstrauß Luft zu. "Also das ist ja eine
Frechheit! Du schiebst mir einfach so die Schuld in die Schuhe! Und das
ausgerechnet an meiner Hochzeit!" Sie schmiegte sich beleidigt an
Nandre. "Judith, Judith, Judith. Immer diese Judith."
Nandre zog sie zur Bühne und die beiden tanzten noch ein bisschen. Judith schaute mürrisch zu.
So langsam gingen die Hochzeitsgäste und schließlich machten sich auch Zarah und Nandre auf den Heimweg.
Die Nacht ging zu Ende und der Morgen brach an.
Als Nandre aufwachte, schien die Sonne schon hoch am Himmel und wärmte die Luft. Nandre streckte sich und gähnte.
Langsam
wachte auch Zarah, die nun keine Payet sondern eine Schuhmacher war, auf. "Was für ein herrlicher Morgen!", rief sie
strahlend und schaute durch das Fenster in den Garten, wo rosarote,
gelbe und weiße Rosen wuchsen und auf weißen Kieswegen verschnörkelt
geschnitzte, weiß angestrichene Bänke standen.
Zarah wohnte nicht mehr zusammen mit Julia und Lina in der kleinen, langweiligen WG, sondern in Nandres großem Haus.
Nandre war reich. Er war viel reicher als Julia. Da er reich war, konnte er sich viel leisten.
Nandre stand auf und zog sich an.
Zarah blieb im Pyjama und bereitete das Frühstück vor.
"Wie nett du bist! Schokomüsli in Joghurt!", sagte Nandre und gab Zarah einen zarten Kuss auf die Wange.
"Und wie schön du bist!", hauchte Zarah kichernd. Diese Bemerkung war ziemlich übertrieben, denn eigentlich war Nandre nicht sonderlich schön. Er hatte lange braune Haare, olivgrüne Augen, eine knollige Nase und buschige Augenbrauen. Aber Zarah fand das schön.
Nandre
wandte sich geschmeichelt ab und wurde leicht rot. "Zieh dich doch an,
Schatz", sagte er, "ich möchte sehen, wie du dich heute zierst. Und gib
dir bitte Mühe, ja?"
"Hach, du betörst mich ja geradezu! Ich würde
dir gern jeden Wunsch erfüllen." Zarah verschwand schnell im Zimmer, wo ihre
edle Kommode stand. Bald darauf kam sie in einem fliedernen, schimmernden,
bauchfreien T-Shirt und einem langen, weißen Tüllrock wieder heraus.
"Du siehst ganz und gar wunderbar aus", lobte Nandre.
"Du hast gesagt, ich soll mir Mühe geben."
"Das hast du auch."
"Du machst mich ja schon verlegen."
"Ist doch nicht schlimm, Zarah. Wir sind schließlich unter uns."
"Stimmt."
"Wollen wir spazieren gehen und die warme Luft genießen?"
"Gegen einen romantischen Spaziergang mit dir hätte ich nichts, aber wir müssen noch die Zähne putzen."
"Wie vergesslich ich neulich bin. Danke, Zarah."
"Du darfst dich nicht beschuldigen, Nandre!"
"Trotzdem, wir putzen jetzt Zähne."
Nandre
und Zarah gingen ins Badezimmer und putzten sich die Zähne. Danach
gingen sie aus dem Haus und schlenderten durch einen Park. Sie beschäftigten sich nämlich ausschließlich mit Sachen, die Zeitvertreib darstellten und keinerlei Sinn für einen armen Menschen ergaben, weil sie nicht notwendig waren.
Nandre legte seinen Arm um Zarahs Schulter.
Zarah sah ihm verträumt in die Augen. Vor lauter Liebe konnte sie zurzeit kein Wort zu ihm sagen.
Plötzlich drehte sich Nandre erschrocken um.
Hinter ihnen raschelte es laut in einem Busch.
Da hörte Zarah es auch. "Aaah! Oh, mein Nandre!", schrie sie schockiert.
"Wir werden beobachtet sowie bespitzelt. Frechheit!", erklärte Nandre.
"Schnell weg!", schrie Zarah panisch.
"Hinterher!", tönte es aus dem Busch.
"Zeig dich! Wer bist du?!", kreischte Zarah voller Angst und klammerte sich bibbernd an Nandre.
"Mach schon!", forderte Nandre und nahm sich einen großen Stock, mit dem er wütend vor dem Busch herumwedelte.
"Nein!", rief der Mensch, der sich im Busch versteckte.
"Na warte, du!" Nandre rammte den Stock in die Stelle im Gebüsch, wo er die Person vermutete.
Durch lautes Rascheln ließ sich erahnen, dass der miese Mensch auswich.
"Mist! Fehlversuch!", schimpfte Nandre gestresst.
Zarah stampfte mit dem Fuß auf. "Wer bist du, du Böser!", schrie sie. Auch sie fand die Situation extrem stressig.
Keine Antwort.
"Schneller! Raus mit dir und deiner Sprache!" Langsam wurde Nandre richtig rasend. Das kam nicht oft vor.
"Noch schneller! Wer bist du?! Na? Wer bist duuuuuuuuu?", kreischte Zarah. Ihr Kopf kochte und war hochrot.
Zwei blaue Augen funkelten sie böse an.
"Rette mich, Nandre!", krakeelte Zarah.
Bevor
Nandre sie huckepack davontrug, fuchtelte er bedrohlich mit dem Stock
und rief den Augen entgegen: "Ich glaube, ich weiß wer du bist!"
"Wer war das denn?", fragte Zarah schwer atmend, als sie wieder in Sicherheit waren.
"Ich meine doch, es war Marlen", antwortete Nandre entschlossen und schleuderte den Stock energisch weg.
Zarah sah ihn ungläubig an. "Mar-len?", fragte sie erstaunt. "Also... im Ernst? Marlen, Mar-len Ko-wals-ki?"
"Ja, Marlen", sagte Nandre bestimmt und setzte Zarah ab.
"Nandre, das kann nicht sein. Marlens Augen haben ein helleres und freundlicheres blau", endgegnete Zarah.
"Und wenn schon. Wer soll das sonst sein, meine Liebe? Ich versichere dir, das war Marlen, die ihren Blick verfinstert hat!", kam es entschlossen von Nandre.
"Wenn das so ist, Nandre, gehen wir zu ihr und fragen sie", sagte seine Geliebte immer noch nicht von Marlens Schuld überzeugt.
"Gut!", erwiderte Nandre.
"Zufrieden, der Herr?", fragte Zarah gereizt von der nicht so guten Stimmung.
"Aber natürlich doch", sagte Nandre genervt. So gingen sie zu der WG von Marlen, Tanja und Isabella, die direkt vor dem Abgrund lag.
Nandre klopfte eilig an.
"Herein", sagte Isabella freundlich und machte die Tür auf.
"Marlen!", begann Nandre mit lauter und barscher Stimme.
Marlen hob erschrocken die Hände. "Ich habe nichts getan!", protestierte sie und falls Nandre nicht so sauer gewesen wäre, hätte er an ihrer Stimme ihre Unschuld erkannt.
"Hast du wohl! Im Park hast du uns belauscht! Los, gib es zu!", rief Nandre und zeigte auf sie.
"Aber... aber... das war ich nicht...", stotterte die arme Marlen.
"Kein wenn und kein aber!", rief Nandre böse.
Marlen brach in Tränen aus. "Du kannst mich nicht einfach beschuldigen! Ich sage es doch, ich habe nichts getan!", schluchzte sie und gestikulierte noch immer mit den Händen.
"Bei Trotzki", rief Tanja, "was willst du von der armen Marlen?"
"Um Himmels Willen!", rief Isabella entrüstet. "Wir wissen, dass sie nichts gemacht hat!"
"Na also", sagte Zarah, "ich hab es dir doch gesagt. Mann Nandre. Guck mal, du hast Marlen so zugerichtet."
"Ähm, also, wir haben herausgefunden, das du's doch nicht warst. Endschuldige", sagte Nandre etwas bedröppelt zu Marlen.
"Pfff ", machte Zarah und verließ mit Nandre das Haus.
Marlen wischte sich eine Träne aus dem Auge.
Tanja grummelte etwas und schüttelte grimmig den Kopf.
Isabella schloss misstrauisch die Tür.
"Aber wer war das dann?", rätselte Nandre verlegen.
"Irgendwer blauäugiges. Es gibt viele. Aber wer davon, das musst du herausfinden", sagte Zarah und zuckte die Achseln. "Tja! So ist das Leben, man muss auch mal was selber alleine machen!" Doch als sie merkte, dass Nandre seinen Gang verlangsamte, um hinter ihr zu gehen, sagte sie etwas betroffen: "Spaß, wir machen das zusammen."
"Hast du schon einen Verdacht?", seufzte Nandre.
"Ganz ehrlich: Nein", gab Zarah zu und reichte Nandre die Hand.
Um die Mittagszeit saßen sie in einem teuren Restaurant und ließen sich die Fischsuppe servieren.
Ein Kellner kam und stellte die Schüssel auf den Tisch. "Bittesehr", sagte er.
"Dankeschön", sagte Nandre förmlich.
Nach einer halben Stunde kam der Kellner wieder und Nandre bezahlte.
Doch als Nandre und Zarah das Restaurant verließen, wurde der Kellner sehr sauer. "Schon wieder! Kein Trinkgeld! Das gibt's doch einfach nicht!", schimpfte er und sah dem Liebespaar kritisch nach.
Nandre und Zarah bekamen das überhaupt nicht mit und planten sogar, das Restaurant häufiger zu besuchen...
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