Kapitel 12: Greta Kowalski

Paula sah von ihrem Brief auf. "Marlen, an wen schreibst du?", fragte sie
"Tom natürlich", erwiderte Marlen. "Du?"
"Maria", antwortete Paula.
Marlen nickte. "Darf ich mal lesen?"
"Ja", kam es von Paula, "aber er ist noch nicht fertig."
Als Marlen den Brief fertig gelesen hatte, sagte sie anerkennend zu Paula: "Du hast den Brief echt gut formuliert! Und du hast fast gar keine Rechtschreibfehler!"
Paula kicherte. 

Eine Stunde verging. Dann waren alle Briefe fertig. Isabella sah sie sich an und nickte zufrieden. Die Briefe wanderten in Rucksäcke und Taschen.

In Paulas Brief stand folgendes:

Maria ey, ich find das voll gemein, dass alle Zarah irgendwie voll mögen! Verstehst du? Alle mögen Zarah! Und mich mag keiner außer dir und Eva! Ich meine, es müssen ja nicht gleich alle Zarah mögen, nur weil sie vielleicht verheiratet ist! 😠😡👿💔💣😣

Paula

In Marlens Brief stand das:

Hallo Tomi,

was machst du so? Ich habe dich neulich gar nicht mehr so oft gesehen. Hat das einen Grund? Warst du vielleicht irgendwie... oft einkaufen oder so etwas? Ich will dich nur mal fragen, weil ich dich ein bisschen vermisse.😔

Liebe Grüße,

deine Marlen. 😊

In Tanjas Brief stand das: 

Priviet Aloscha.

Wie geht's?

Wie läuft's mit Natascha-💀?

Na?!

Oder sitzt du vielleicht zufällig mal wieder im Bau?

Vielleicht bist du ja auch schon wieder ausgebüxt? 

Schreib mir! 

T. Z. 

In Christinas Brief stand das: 

hi Charlotte!

Merle ist süß! Mit wem hast du sie gekriegt? Niemand weiß das! Wir brauchen mal eine aufklärung, weißt du? Jetzt sag's uns mal. wir hüten das sicher. Wir sind auch echt vertrauenswürdig, glaub mir. das interessiert uns alle brennend. außerdem ist es auch immer total gut, wenn man ein geheimnis loswird, weil man's dann nicht mehr die ganze Zeit so stressig hüten muss.

christina g😜

In Toms Brief stand das:

Hallo liebe Leni,

Marlen, halt dich fest, ich habe gestern einen Mann gesehen, der mit einem Hamburger in der Hand querfeldein durch die Stadt gelaufen ist und 'Balla-Balla' geschrien hat.

küsschen,

dein Tom

In Julias Brief stand das:

Hi Mark,

ich vermisse Dich so sehr!
Was wollen wir in der nächsten Zeit so zusamme
n machen?  💘Ich will wieder mehr mit dir sein. 💖
💗+💗=💕

Liebste Grüße,

Deine Julia💌😍😚😗😘

In Gretas Brief stand das:

Hallo Marlen,

du und ich, wir beide, sind verwandt! Ob du's glaubst oder nicht, vielleicht bin ich sogar deine Schwester! Ich liste dir jetzt ein paar Gemeinsamkeiten von uns auf: Wir haben als Kinder immer zusammen gespielt. Das ist mir heute erst wieder eingefallen! Außerdem mögen wir beide Blutwurst (und Wurst) und haben Schauspiel-Talent. Wir haben beide blaue Augen und blonde Haare und halbpolnische Herkunft. Falls wir doch keine Schwestern sind, kann es ja auch sein, das irgendein Ur-Ur-Vorfahr von mir mit einem Ur-Ur-Vorfahr von dir verwandt war.

L G,

Greta, deine Blutsverwandte

PS: wir heißen beide mit Nachnamen Kowalski (polnisch für Schmied oder Schmidt.)


Marias Brief sah so aus:

Hallo Franziska, hallo Marie! ☺

Wir haben zwar eigentlich gar nichts miteinander zu tun und keinen Kontakt, aber ich will ganz gerne welchen mit euch aufbauen. Können wir also einen gemeinsamen Chat aufmachen? Wenn ihr wollt, könnt ihr Stella da auch gleich reinmachen. Also wenn ihr wollt, ihr müsst nicht. Paula und Eva wären übrigens (glaube ich) auch dabei. (Ich hab die beiden noch nicht gefragt, sorry.)
Ist das für euch okay? Ihr könnt uns eine Nachricht schicken. Lasst euch ruhig Zeit, das ist eigentlich ziemlich nebensächlich. Aber wir mögen es eben, mit irgendwem rumzuchatten.
Und ich muss ja auch einen Brief schreiben.☺

Bis später,

MARIA ☺☺☺

In Evas Brief stand das:

Hi Paula, ich find dich in letzter Zeit n bisschen grummelich. Deine Eva

In Linas Brief Stand das: 

Hai anne.

Bai diesem Ain Treffnn wo du jah Dabbai waasd wollltesd du jah kainn Reehdn Waill du nichd lechalich wi der Dumi da-Shdenn wohlltessd waill virr allsou (Julia untt  Lina Ich kainn Teemha zúmm Reehdn hadtdn unt du Nixx gessakkd hasssd .. Julia hadd nixx Gessakkd waill Si ynn ain makk faccnahld iss.

"Was hast du jetzt mit uns vor?", fragte Paula Isabella.
"Ich gehe jetzt einen Kuchen kaufen. Ihr könnt derweil vielleicht ein bisschen quatschen", antwortete Isabella und ging los zum Kuchengeschäft.
Doch niemand sagte auch nur ein Wort. Es fiel niemandem etwas ein, das er sagen konnte.
Schließlich fiel Eva doch etwas ein. "Maria", fragte sie, "was ist dein Nachname?" Natürlich war es ihr total peinlich, jetzt die Stille zu brechen. Aber alle fanden diese Stille unerträglich, das spürte jeder.
"Hong", war die knappe Antwort von Maria.
"Klingt voll chinesisch", bemerkte Eva, ohne eine große Hoffnung auf ein sinnvolles und spaßiges Gespräch.
"Ist aber koreanisch", sagte Maria, der Eva sehr leid tat, weil sie so viel redete.
"Stimmt. Muss ja sein. Aber wenigstens hab ich erraten, dass das asiatisch ist", sagte Eva und lachte hörbar gekünstelt, da kam zum Glück Isabella gebogen unter dem Gewicht eines sehr goßen, mit weißem silber verziertem Stoff überzogenen Pakets wieder herein. Sie stellte den großen Gegenstand auf den Tisch. Dann zog sie den Stoffüberzug ab. Zwei aufeinander gestapelte Torten wurden sichtbar. Eine war weiß und auf ihr waren lecker aussehende Fruchtstücke. Die andere  war eine sehr cremige Schokotorte mit Erdbeeren.
"Wer will Schokotorte?", fragte Isabella, die von der schlimmen Stimmung nichts mitbekommen hatte, fröhlich.
Tanja, Julia, Lina, Tom, Marlen und Paula hoben die Hand.
"Und wer will Vanille- Früchtetorte?", fragte Isabella. Die weiße Torte mit den Fruchtstückchen war nämlich eine Vanille-Fruchttorte.
Christina, Greta, Maria und Eva hoben die Hand.
Isabella schnitt jedem das gewünschte Stück. Schließlich gönnte sie sich auch selbst ein wahrscheinlich wohlverdientes, jedoch etwas spärliches Stück Vanille-Früchtetorte.
"Puh", sagte Eva erleichtert, "endlich müssen wir nicht mehr vor allen so superpeinlich reden! Ich hab mich dabei total bis auf die Knochen blamiert!"
"Ja", sagte Maria, "ich glaube, es wäre tatsächlich besser gewesen, wenn wir wie die anderen geschwiegen hätten."

"Marlen, magst du Zarah?", fragte Paula.
"Ich hab jetzt  nichts gegen sie", antwortete Marlen.
Paula setzte sich im Schneidersitz auf den Boden, schloss die Augen und sagte: "Ommmmm... Niemand mag Zarah nicht. Na toll."
"Warum auch? Schließlich hat mich ja zum Beispiel nur Nandre beschuldigt, ihm und Zarah in einem Busch gefolgt zu sein!", sagte Marlen erstaunt.
"Alte Erinnerungen. Alte, blöde Erinnerungen", seufzte Paula, stand schwerfällig auf und ließ sich auf ihren Stuhl sinken.
"Wieso? Was heißt das? Was meinst du damit?", fragte Marlen noch erstaunter.
Paula stöhnte fürchterlich. "Ich war im Busch!", rief sie und ließ den Kopf in den Nacken fallen.
"Oh!", sagte Marlen und aß ihr Stück Torte auf.

"Jetzt könnt ihr eigentlich schon gehen", sagte Isabella.
Man hörte, wie Rucksäcke und Taschen gepackt wurden.
Die ersten drei verließen die WG: Paula, Maria und Eva.
"Maria", sagte Eva leise, "ich find' jetzt gerade richtig peinlich, was ich in meinem Brief geschrieben hab."
"Oh, das ist leider nicht so praktisch", sagte Maria und vergaß sofort wieder, was sie gesagt hatte, weil es ohne jeden Sinn und einfach nur etwas war.
Paula nahm an dem sinnlosen Gespräch nicht teil. "Auch noch Marlen! Wer wohl als nächstes sagt, dass er Zarah mag?", murmelte sie verdrossen.
"Was jammerst du denn da schon wieder so verbittert?", wollte Eva von ihr wissen.
"Überhaupt nichts. Aber irgendwer hinter uns jammert. Spitzt mal die Lauscher und hört auf zu quasseln", antwortete Paula grimmig.
Eva drehte sich um. "Sieht nach Greta aus", sagte sie.

Tanja ballte die Faust und schlug auf Greta ein. "Freche Göre!", schimpfte sie. "Pass mal bloß auf! Gleich stürze ich dich im Ernst den Abgrund hinab! Ja, ich meine das wirklich ernst, Greta Kowalski!"
Marlen kam dazu. "Hör auf, Tanja! Greta hat nichts getan!", rief sie empört.
"Hat sie wohl! Und jetzt hau ab!", schrie Tanja.
Isabella ging auf Tanja zu. "Was hat Greta denn gemacht?", fragte sie.
"Geht dich nichts an!", rief Tanja und packte Greta am Arm.
"Lass mich los!", protestierte Greta.
"Sei still und komm brav mit! Ich stürze dich in wenigen Sekunden in die Tiefe!", sagte Tanja streng.
"Himmeldonnerwetter! Tu das nicht! Stopp! Lass das!", rief Marlen verzweifelt und rannte Tanja hinterher.
Tanja lief unbeirrt weiter.
"Hiergeblieben! Du darfst Greta nicht töten!", schrie Marlen. Doch je mehr sie schrie, desto weniger achtete Tanja auf sie.
Marlen seufzte und blieb stehen. "Leb wohl, Greta."
Isabella winkte mit ihrem Taschentuch. Sie sagte: "Auf Wiedersehen, Greta. Oder eher... auf ein trauriges Nimmerwiedersehen." Somit ging sie zu ihrer WG. Doch als sie bei der Tür ankam, drehte sie sich wieder um und folgte Tanja. "Ich werde eine Zeugin von Gretas Tod sein. Ich habe mich entschlossen", sagte sie.

"Nie werde ich es bereuen, dass ich dich ermordet habe, Greta!", rief Tanja.
Eine Stimme ertönte. "Du wirst es bereuen, Tanja. Du wirst es bitter bereuen..." Es war Christina.
"Schweig!", sagte Tanja hart und ihr Blick war düster. "Oder du landest mit ihr dort unten, Christina Gonzalez!"
Christina hatte keine Angst. "Gut", sagte sie, "ich werde mit Greta sterben. Ich werde sie nicht verlassen."
Tanja lächelte finster und gnadenlos. "Sollst du doch mit ihr sterben. Ist mir eh egal!"
"Man wünscht einem nicht den Tod!", sagte Paula, die sich heimlich dazugeschlichen hatte.
"Hau ab! Hau ab! Hinfort mit dir!", schrie Tanja.
Paula lief ein paar Meter nach hinten. "Schon gut!"
"Jetzt töte ich dich, Greta!", rief Tanja ungnädig. Und sie trat Greta in den Abgrund.
Christina sprang Greta hinterher.

Maria nahm ihr Handy aus der Hosentasche und gab die Nummer der Polizei ein. "Es sind gerade zwei Menschen gestorben", erzählte sie so aufgeregt und angespannt, dass sich ihre Stimme mehrmals überschlug. "Sie heißen Greta Kowalski und Christina Gonzalez! Greta wurde von Tatiana Zibirskaja umgebracht, Christina ist ihr freiwillig hinterhergesprungen! Die liegen jetzt im Abgrund vor den WGs!" 

"Tatüüü, tataaa, tatüüü, tataaa..." Einige Minuten später kam das Polizeiauto angefahren.
Zwei professionelle, sogar mit Pistolen ausgestattete Polizisten stiegen mit ernster Miene aus dem Auto.
"Hier!", schrie Eva panisch und zeigte auf den Abgrund.
"Wer ist die Mörderin?", fragte einer der Polizisten ruhig und sehr ernst und seriös.
"Ich", sagte Tanja selbstbewusst und hob die Hände. "Eines der Todesopfer stieß ich gerade in den Abgrund. Es ist die blonde von den beiden."
"Warum haben Sie Greta Kowalski getötet?", wollte der Polizist nicht sehr freundlich wissen.
"Seit Jahren nervt mich die Halbpolin", sagte Tanja kühl. "Einmal stritten wir so heftig, dass wir uns nie versöhnen wollten. Nie! Heute schwor Greta mir die ewige Feindschaft. Da wollte ich sie umbringen. Ich wollte sie auf jeden Fall umbringen, egal welche Folgen das hat." Und man sah ihr genau an, dass sie sich der Folgen auch durchaus sehr bewusst war, ihre Tat aber nicht bereute.

"Wird Tanja jetzt wegen Mord festgenommen?", fragte Eva Maria.
"Ja, ich glaube schon", erwiderte Maria.

Die Polizisten legten Tanja Handschellen an und führten sie ab. Tanja protestierte nicht.

Marlen kniete sich auf den Boden. "Ach je", sagte sie, "ich werde Greta Kowalski vermissen. Aber ein Andenken an sie habe ich noch: Den Brief, den sie mir schnell gegeben hat, bevor Tanja kam." Sie faltete das Papier auseinander und las. Danach rief sie: "Eine aus meiner Familie! Meine Schwester! Gestorben!" Marlen begann bitterlich zu weinen. Ein paar Tränen landeten auf ihrem dunkelgrünen Kleid, einige auf Gretas Brief, noch ein paar auf dem steinigen Boden und andere auf ihrem langen blonden Zopf, den sie umgelegt trug.

Als sie, den Blick noch immer von einem leichten Schleier aus Tränen beeinträchtigt, wieder aufsah, erkannte sie eine helle Gestalt mit zottigen, schwarzen, ungekämmten, schulterlangen Haaren, einer platten Nase, kleinen braunen Augen, nicht geschminkter, rauer Haut und einem schmalen Mund. Sie sah Isabella Lyazzat Zharkylsynsyn...

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