Kapitel 13: Bobby
"Isabella? Was willst du machen?", fragte Marlen.
"Mich hat nur erstaunt, dass du gesagt hast, dass Greta deine Schwester ist", sagte Isabella und ging weg.
"Wem schenken wir ihn bloß?", grübelte Marie.
Franziska kratzte sich am Kopf. "Hmm. Weiß ich auch nicht."
Dann rief Marie: "Aber ich! Stella! Jetzt, wo sie bei Nek wohnt, wäre ein Abschiedsgeschenk doch genau das Richtige!"
"Nee",
sagte Franziska kopfschüttelnd, "die hat doch schon ihr Riesengeschenk
Nek. Außerdem mag sie auch nur Bichon Frisés und Tibetterrier."
"Stimmt. Dann vielleicht Paula? Die liebt doch alle Tiere!", schlug Marie vor.
"Ja! Super!", rief Franziska.
Marie
schnitt ein paar Streifen von der Krepbandrolle und klebte sie auf ein
wackelndes, großes Paket. Dann schrieb sie auf die Streifen Wörter wie
"Achtung", "Zerbrechlich", "Kuschelbedarf", "Wertvoll", "Beweglich",
"Vorsicht", und "Für Paula"
Marie und Franziska schlichen zur WG von Paula, Maria und Eva.
"So, Franzi", flüsterte Marie Franziska zu, "jetzt sind wir angekommen. Du kannst anklopfen."
Franziska klopfte schnell an. Dann versteckten sie und Marie sich hinter der Wand.
Eva machte die Tür auf.
Franziska warf das Paket vor Evas Füße.
Eva nahm das Paket, ging damit wieder rein und machte die Tür zu.
Franziska und Marie liefen schnell wieder zu ihrer WG.
Eva schaute sich die Wörter auf dem Paket an und sagte zu Paula: "Paula, da hat grad irgendwer was für dich abgeliefert."
"Komisch", sagte Paula misstrauisch,"eigentlich mag mich doch niemand so richtig außer dir und Maria."
"Mach doch auf", sagte Maria.
Vorsichtig
machte Paula das Paket auf. Sie brauchte den Gegenstand, der sich darin
befand, nicht erst rauszuholen, denn er sprang ihr schon entgegen. Er
war ein kleiner Labradorwelpe!
"Oha!", sagte Paula.
"Wie nennen wir ihn?", fragte Maria.
"Ich besorge Leckerlis für ihn", sagte Eva.
"Bei Fressnapf gibt's ganz gute", sagte Maria.
"Okay", kam es von Eva.
"Guck mal, Maria! Der hat ein Halsband! Kannst du erkennen, was da draufsteht?", sagte Paula.
"Va...
Vo... Von... Mar... Maren... Marie... u... und... F... Frifa...
Firfa... Frafi... Franzi... Franziska. Von Marie und Franziska!", sagte
Maria.
Paula nickte. "Gut. Das Geheimnis um die freundlichen Postboten ist gelüftet. Jetzt zum Namen", sagte sie.
"Um
den Namen bestimmen zu können, müssen wir wissen, ob der Welpe männlich
oder weiblich ist", erklärte Maria und hob den Welpen hoch.
"Und?", fragte Paula.
"Er ist männlich", antwortete Maria.
"Wie wär's mit... hmm... Theodor? Das hat wie Labrador ein 'dor'", schlug Paula vor.
"Na ja... Können wir machen... Aber... Klingt das nicht vielleicht ein bisschen zu erwachsen?", sagte Maria.
"Schlag du mal einen Namen vor. Mir fällt bestimmt kein guter mehr ein", sagte Paula beleidigt.
"Doch, bestimmt!", rief Maria.
Paula seufzte. "Na gut... Was hältst du von... Bobby?"
"Ja! Super!", rief Maria.
"Jetzt übertreibst du aber", sagte Paula.
"Überhaupt nicht", protestierte Maria.
"Dann eben nicht", sagte Paula und zuckte mit den Achseln.
Eva kam zurück. "Ich hab extra das Futter gekauft, das sehr gut für Welpen geeignet ist", sagte sie.
"War das teuer?", fragte Paula.
"Nö. Nicht richtig", erwiderte Eva.
"Super", sagte Paula.
Tag
für Tag riss Anne die Seiten des Kalenders ab... bis zum achten
September. Dann fuhr Charlotte schon früh am Morgen mit der U- Bahn zum
Krankenhaus.
Drei Tage später saß sie schon wieder auf der Couch in
ihrer, Annes und Carlas WG - und stillte einen Säugling. "Das ist
Merle", erklärte sie.
"Hast du Storys vom Krankenhausbesuch?", fragte Anne.
"Ja", sagte Charlotte, "und eine davon ist besonders interessant."
"Ach ja?", fragte Anne und kippelte aufgeregt auf ihrem Stuhl herum.
Auch Carla war sichtlich interessiert. "Erzähl!", rief sie.
"Am
ersten Tag bin ich durch den Flur gegangen, um zu dem Zimmer zu kommen,
wo ich Geburt geben soll", erzählte Charlotte und streichelte Merle.
Dann fuhr sie fort: "Durch zwei offen stehende Türen sah ich dabei
Christina und Greta. Dann hat mir die Krankenschwester erzählt, dass die
beiden da schon seit dem dreißigsten siebten sind. Boah, echt lange,
ne?"
"Die beiden hat man für tot gehalten! In der Zeitung stand sogar ein Artikel darüber!", rief Carla.
So gingen sie raus. Schon bald hatten sich alle WG-Bewohnerinnen, Zarah und Nandre um Charlotte, Carla und Anne versammelt.
"Das Baby ist aber süß!", flüsterte Zarah Nandre ins Ohr.
"Ja, richtig niedlich", sagte Nandre.
"Wollen wir auch mal eins haben?", fragte Zarah.
Nandre nickte.
Vera trat näher an Charlotte und Merle heran. "Hier, Merlilein. Lutsch mal schön daran rum. Richtig lecker, das saftige Orangeneis, das dir die liebe Tante Vera gibt, oder?", sagte sie und hielt der kleinen Merle ein tropfendes, gelbes Eis am Stiel vor den Mund.
Merle gab Piepstönchen von sich und drehte den Kopf weg.
Vera verfolgte sie mit dem Eis.
Da begann Merle, an dem Eis zu lutschen.
Vera streichelte sie auf dem Kopf. Dann sagte sie: "Genug gelutscht. Jetzt ist erst einmal Schluss mit dem Süßkram. In einer Stunde kriegst du bestimmt noch irgendwas Leckeres von Mami Charlotte. Die liebe Tante Vera kommt morgen wieder." Somit ließ sie das süße Eis von Merles Lippen schnellen.
Merle sah dem Eis einen Moment lang erschrocken nach, dann begann sie zu schreien und zu weinen und mit den Beinchen zu strampeln.
"Jetzt hast du Merle traurig gemacht. Vielen Dank!", sagte Charlotte verärgert.
Vera verschwand zerknirscht in der Menge. "Warum bloß musst du immer sofort ausflippen? Ich kann doch nichts dafür!", protestierte sie.
Charlotte seufzte und schüttelte den Kopf.
"¡Hola!"
"Dzień dobry!"
Zwei wohlbekannte Stimmen ertönten. Und zwei wohlbekannte Gestalten erschienen. Es waren Greta Kowalski und Christina Gonzalez. Sie rollten in sehr medizinisch aussehenden Rollstühlen mit großen Rädern auf die WG-Bewohnerinnen zu.
Marlen rannte Greta entgegen und rief: "Greta! Ich habe deinen Brief gelesen! Alles, was in ihm steht, stimmt! Wir heißen beide mit Nachnamen Kowalski! Wir sind beide blond und haben blaue Augen! Wir haben beide ein schauspielerisches Talent! Wir essen beide gerne Blutwurst! Wir sind beide Halbpolen!" Sie nahm Greta in ihre Arme.
"Tatiana Zibirskaja hat mich nicht umgebracht, aber sie hat mir das Knie gebrochen", sagte Greta. Dann schaute sie zu Boden und murmelte: "Das werde ich ihr nie verzeihen."
Christina rollte in ihrem Rollstuhl näher an Greta heran. "Ich habe mir nicht das Leben genommen, sondern den Fuß verstaucht", sagte sie. Das Thema, über das sie sprachen, war zwar ein sehr trauriges, doch in Christinas Gesicht sah man kein Anzeichen von Angst, Verbitterung, Wut, Rachsucht oder Trauer. Sie war ganz die gechillte Spanierin wie früher.
Tanja hockte miesepetrig auf dem Boden ihrer Zelle.
Die Uhr schlug zwölf.
Lustlos schlürfte Tanja in die Mensa. Dort nahm sie sich ein Tablett und stellte einen Teller darauf. Dann schaufelte sie sich mit einer Kelle Kartoffelsuppe in den Teller. Sie ging an einen Tisch, an dem schon ein paar andere Kriminelle saßen und griesgrämig ihre Suppe löffelten. Wie fad, dachte sich Tanja, jeden Tag gibt es entweder Kartoffelsuppe, Hühnerfrikassee, Hörnchennudeln oder Schlemmerfilet. Ich will bald mal wieder was Vernünftiges auf den Tisch kriegen. Als ich noch in der WG war, hat immer Marlen polnisch oder Isabella russisch oder kasachisch gekocht. Russisch war immer am leckersten. Und hier im Knast gibt es nur so einen ekligen Fraß. Bald esse ich den nicht mehr, im Ernst.
Am nächsten Tag saßen Julia, Julias Freund Mark Schwarz, Lina, Eva, Maria, Paula, Paulas neuer Hund Bobby, Vanessa, Vera und Lisa auf einer Bank im Garten von Nandre und Zarahs Haus und warteten darauf, dass Nandre und Zarah aus dem Haus kamen. Sie warteten ungefähr drei Minuten, dann kam Nandre heraus. Hinter ihm lief Zarah. "Hi Leute!", rief sie.
Vanessa und Vera standen auf.
"Auf geht's!", sagte Vanessa.
Lisa stand auch auf. "Ja!", sagte sie und Vera nickte. Sie hatte nicht sonderlich gute Laune, da sie sich jetzt dafür schämte, am vorigen Tag einen Säugling zum weinen gebracht zu haben.
Paula, Bobby, Maria, Eva, Julia, Mark und Lina standen ebenfalls auf. Sie, Vanessa, Vera, Lisa, Nandre und Zarah gingen in den Park.
"Zuckersüß, der kleine Bobby, ne?", fragte Eva.
"Ja. Darf ich mal streicheln?", sagte Zarah.
"Musst du Paula fragen", erwiderte Eva und zuckte mit den Schultern.
"Darf ich?", fragte Zarah Paula etwas genervt.
Paula nickte.
Zarah streichelte den kleinen Welpen.
"Wo wohnt jetzt eigentlich Anom?", fragte Lina Maria.
"Anom wohnt auf einem Bauernhof", sagte Maria. "Der Garten ist zu klein für sie. Aber wir können sie immer, wenn wir Ausflüge machen, abholen und auf die Ausflüge mitnehmen. Paula hat die Freundin mit dem Bauernhof, wo Anom ist. Ich glaube, sie hat es da ganz gut."
Lina nickte. "So ist das also. Verstehe", sagte sie.
"Vera", fragte Zarah,"wann hört der Dauerstreit von dir und Charlotte eigentlich mal auf?"
Vera guckte sie verdattert an. "Woher soll ich das bitte wissen?", rief sie.
"Na, weißt du es echt nicht? Ich schon!", sagte Zarah und zupfte angeberisch an ihrer Kette, die sie sich neulich von Nandres Geld gekauft hatte.
Vera seufzte. "Und wann, Frau Wahrsagerin?", fragte sie.
"Dann, wenn du aufhörst, ständig Streit anzufangen und Charlotte zu provuzieren!", erklärte Zarah grinsend.
"Wieso spiel ich immer die böse?", klagte Vera.
"Weil du's bist!", rief Zarah und bekam einen Lachanfall.
Da hatte Vera die Nase voll. "Hör auf, so besserwisserisch und gemein und unfair zu sein!", schrie sie.
"Bist du doch auch immer! Aber nicht zu mir, sondern zu Charlotte", kicherte Zarah.
"Kaum anzusehen, euer Streit", kommentierte Lina und drehte sich weg.
Vera sprang in die Luft und strampelte wütend mit Armen und Beinen. "Raaah! Bäääh! Wuuouh!", schrie sie. Offenbar ließ sie so ihre Wut raus.
"Phhh, wie lächerlich", kicherte Zarah arrogant.
Plötzlich berührte Veras Fuß Zarahs Kopf und Vera verlor komplett das Gleichgewicht. Sie stürzte in einen Baum.
"Aaah! Du meinst es ja ernst! O Nandre, so rette mich doch!", kreischte Zarah.
Vera sah sie ernst an. "Du hast angefangen! Das weiß ich ganz genau! Entschuldige dich sofort! Jetzt! Auf der Stelle!", rief sie sauer.
"Nein! Nie im Leben!", schrie Zarah und klammerte sich an Nandre.
Nandre trug sie eilig weg.
Vera kletterte vom Baum herunter. "Miese Tussi, diese Zarah", sagte sie und ärgerte sich beinahe schwarz.
"Du hast doch 'The Power of now' gelesen, dieses Meditationsbuch, das Nek rumempfohlen hat, ne?", fragte Vanessa.
"Ja, ich hab die Englischversion gelesen", sagte Vera und sah Zarah und Nandre mit bösem Blick hinterher.
"Ich auch", sagte Vanessa, "aber das ist eher nebensächlich. In 'The Power of now' steht, und darauf will ich hinaus, dass man 'concious' bleiben muss. Das bedeutet, dass du dich so viel ärgern kannst wie du willst, aber dass dir das nichts nützt. Dadurch wird Zarah ja nicht netter, du hast nur negative Gedanken und fühlst dich schlecht!"
Vera nickte. "Ja, ja."
"Wisst ihr", sagte Maria,"morgen gibt es wieder ein Treffen mit denen. Und zwar direkt am Morgen."
"Och nee!", stöhnte Vera.
"Allerdings kommt es noch schlimmer. Übermorgen gibt es auch noch eins", warnte Maria.
"Ich hab aber keinen Bock!", sagte Vera traurig und stampfte mit dem Fuß auf...
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